Wie fair gestaltet sich der gemeinnützige Bereich? Blitzlichter der Spinn.Bar und Umfrage zu Decent Work im Spinnen-Netz
Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit – weltweit – ist ein Aspekt des SDG8 „Decent Work“. Wenn hiesige NGOs sich für gravierende soziale Missstände und gegen massive Menschenrechtsverletzungen im „globalen Süden“ einsetzen, kann es leicht vermessen wirken, wenn NGO-Mitarbeitende im „globalen Norden“ Probleme beanstanden. Doch seriell befristete Arbeitsverträge und damit verbundene Unsicherheit, geschlechtsspezifische Diskriminierungen oder Strukturen, entwertende Kommunikation oder fehlende Mitbestimmung gibt es auch bei uns.
Dies war das Thema für eine im Herbst 2021 durchgeführte Umfrage unter den Spinnen-Netz-Mitgliedern (an der 71 Personen teilnahmen) und einen Diskussionsabend am 30. November 2021. Als Impulsgeberinnen mit dabei waren Marijke Mulder, Betriebsrätin von FEMNET und Françoise Greve, Koordinatorin des Netzwerks "Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko" und vorher in leitender Position in einem Verein für Frauenrechte.
Die Befragung ergab zwar zum einen sehr hohe Arbeitszufriedenheit aber dennoch einige Ausreißer bei den Fragen der Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen sowie zum Teil auch eine schlechtere Bezahlung bei gleicher Position. Fast die Hälfte der befragten NGO-Mitarbeitenden fanden die Strukturen intransparent. Dies ist besonders interessant vor dem Hintergrund der großen Gehaltsdisparität, die sich zwischen TVÖD8 und TVÖD14 auf den unterschiedlichsten - und jeweils nicht immer zum Gehalt passenden – Positionen darstellt. Auch werden in wenigen Einzelfällen Frauen auf gleichen Positionen schlechter bezahlt als Männer. Positiv auffallend ist, dass zwei Drittel angelehnt an die Gehaltsstufen TVÖD 11-14 (Einstieg bei 3600€ bis 4100€ brutto pro Monat bei einer Vollzeitstelle) entlohnt werden, wobei ein Viertel bei TVÖD11 eingestuft ist.
Interessant ist auch die Ausdifferenzierung der Positionen und unterschiedliche Gehaltseinstufung: Gerade bei sehr kleinen Organisationen kann eine vergleichsweise verantwortungsvolle Position dennoch gering bezahlt sein.
Die Mitarbeitenden mit sehr niedrigen Gehältern akzeptieren diese vor allem, weil der Arbeitgeber zum einen wenig Geld habe und zum anderen die NGO-Arbeit sinnstiftend für sie ist – oder weil es der Einstiegsjob ist.
Die Mehrheit der befragten NGO-Mitarbeitenden, die zum überwiegenden Teil weiblich sind, arbeitet in Teilzeit. Das zuerst familienfreundlich erscheinende Modell birgt aber auch die Gefahr der Teilzeitfalle, wovor Françoise Greve am Diskussionsabend eindringlich warnte. Denn nicht nur der aktuelle Lohnnachteil sei heikel, sondern die dadurch entstehende Rentenlücke von über 53 Prozent weniger Rente als für Männer, sei gravierend.[1] Zudem sei der Gender Care Gap zwischen Frauen und Männern, der vor der Covid-Pandemie bereits 52,4 Prozent betrug[2], in der Pandemie gestiegen. Der Gender Care Gap erfasst, wie viel Prozent mehr Zeit Frauen täglich für unbezahlte Sorgearbeit verwenden, als Männer. Das waren 2012/2013 durchschnittlich 87 Minuten.
Diese Kombination aus Einsatz für Menschen im globalen Süden in deutlich prekäreren Lebensumständen – und gleichzeitig hohem zeitlich-finanziellen Druck von ständigen Projektdeadlines und Neuanträgen – kann dazu führen, dass im Alltag Arbeits- oder Organisationskultur nicht mit den nach außen proklamierten Werten kongruent sind. Eine gute Organisationskultur sei aber die Stellschraube Nr. 1 für eine gute Arbeit, wie Françoise Greve betont. Zu dieser Organisationskultur gehöre auch die Gleichstellung von Frauen und Männern in jeglicher Hinsicht, ob bei Gehalt, Partizipation, Vertretung in Leitungspositionen und bei der Förderung der beruflichen Entwicklung, aber auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Das „große Ganze“ oder der hohe Wert der sinnstiftenden Tätigkeit – so das Ergebnis der Befragung und auch der abendlichen Diskussion - kann schnell „Einzelprobleme“ von Mitarbeitenden in den Hintergrund rücken und den Blick von strukturellen oder systemisch bedingten Ursachen ablenken.
Gleichzeitig gibt es einige positive Erkenntnisse: Gut die Hälfte der Befragten beantworten die Fragen nach Gehaltstransparenz in ihrer Organisation positiv. Und die Hälfte der gemeinnützigen Arbeitgeber hat einen Betriebsrat. Die Einrichtung von Betriebsräten kann eine Chance für NGOs sein, ein Zeichen für Transparenz und Mitbestimmung zu setzen und diese intern in Form von partizipativer und wertschätzender Kommunikation zu leben. Betriebsräte bilden den Anspruch einer guten Mitbestimmungsstruktur und Transparenz ab, die für Länder des globalen Südens gefordert werden. Und den NGOs kommt es zugute, wenn an strukturellen Sollbruchstellen zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen die Betriebsräte in die Kommunikation eingebunden werden, sodass sich alle eingebunden fühlen und leichter an einem Strang ziehen können. Das Beispiel von FEMNET zeigt, dass NGOs diesen Spagat vorbildlich meistern und Zeit und Vertrauen dabei wesentlich zum Gelingen beitragen. Marijke Mulder kann von erfreulichen Entwicklungen berichten, die derzeit in Zusammenarbeit zwischen Vorstand/ Geschäftsführung und Betriebsrat stattfinden. Ein Beispiel ist der pro-aktive Umgang mit dem strukturellen Problem der immer wieder auslaufenden projektgebundenen Arbeitsverträge und dem nun rechtzeitigen Abschließen von Anschlussverträgen. Abschließend gab es den wertvollen Hinweis, dass Verdi Beratungsangebote für NGOs anbietet, die sich für die Gründung eines Betriebsrates interessieren.
90 Prozent der Befragten bewerten ihre Work-Life-Balance übrigens mit gut, auch wenn in allen Positionen regelmäßige Überstunden von 2-4 Stunden häufig sind, welches sich verstärkt in den verantwortungsvolleren Positionen zeigt. Im Kontext der Pandemie bewertete die Mehrheit Befragten die Flexibilität positiv, die sie seitens ihrer Arbeitgeberorganisationen hatten, um Carework und Job unter einen Hut zu bringen.
Auch die Kommunikation wird von der Mehrheit als wertschätzend oder zumindest sachlich fokussiert bewertet und nur eine Minderheit, aber wiederum eine signifikante Anzahl, klagt über entwertende Kommunikationsstrukturen. Dies passt zu der wiederum geringen Anzahl an sehr unzufriedenen Mitarbeitenden und wiederum auch den Angestellten ohne nennenswerte Weiterentwicklungsmöglichkeiten.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der gemeinnützige Bereich, in dem die Spinnen-Netzmitglieder arbeiten, seinem Ruf einer sinnstiftenden und erfüllenden Arbeit in weiten Teilen gerecht wird, aber nicht immer der Anspruch an gute Arbeit – bzgl. des Gehaltes, der Kommunikation und der Mitbestimmung – erfüllt wird.
Das Spinnen-Netz will sich weiter mit diesen Fragen beschäftigen und neben diesen Zahlen und Trends qualitative Rückmeldungen zum großen Thema Arbeitskultur, Gehalt, Kommunikation und Mitbestimmung zusammentragen. Unser Ziel ist es, dies sowohl gegenüber Bewerbenden als auch Arbeitgebenden transparent zu machen.
[1] *1 BMFSFJ, 2019. "Kinder, Haushalt, Pflege - wer kümmert sich?! Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage." https://www.bmfsfj.de/blob/jump/160276/kinder-haushalt-pflege-wer-kuemmert-sich-dossier-sorgearbeit-deutsch-data.pdf
[2] Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2019, Zusammenfassung des 2.Gleichstellungsberichts https://www.gleichstellungsbericht.de/kontext/controllers/document.php/91.0/c/7cf4bd.pdf