1. Um Menschen zu erreichen.
„Radfahrer absteigen“ – Wenn ich mal wieder so einem Schild begegne, fühle ich mich oft entweder nicht angesprochen oder frage mich „Bin ich damit auch gemeint?“.
Das liegt ziemlich sicher nicht daran, dass diesen Schildern oft absurde Hindernis-Parcours folgen, die mit Fahrrad eine Zumutung sind oder Verkehrswende und die Realität auf deutschen Straßen nicht wirklich in Einklang sind. Vielleicht ist es die kleine Revoluzzerin in mir, die kein Fan ist von Regeln und Verboten. Vielleicht grüßt auch meine Position im Autismus-Spektrum, denn da steht ganz klar „Radfahrer“. Ich bin aber eine „Radfahrerin“.
Ganz sicher meldet sich aber auch zu Wort, dass ich vor rund 20 Jahren das erste Mal mit dem Thema gendern in Kontakt gekommen bin und mich im Ergebnis seit mehr als meinem halben Leben damit beschäftige, dass alle, die keine Männer sind, in der deutschen Sprache oft übergangen, ausgeschlossen und diskriminiert werden.
Da auf den Schildern eben „Radfahrer absteigen“ steht und nicht „Fahrräder bitte schieben“, „Hier bitte nicht Rad fahren“, „Hier bitte nur zu Fuß“, scheinen also wirklich nur Männer gemeint zu sein.
Gut, quetsche ich mich halt unter Gerüsten durch, schlängele mich zwischen Warnbarken und holpere über Buckelpisten. Manchmal schiebe ich auch, weil’s für Radfahrer:innen und ihre lieben Drahtesel einfach unzumutbar ist.
Aber was hat das jetzt mit Websites zu tun? Naja. Meistens wollen wir Menschen ansprechen statt ausschließen und informieren statt verwirren. Wir möchten Orientierung bieten und dafür braucht es Verständlichkeit und Präzision. Genau das wird ja oft auch von unserer Arbeit gewünscht. Wir stecken in der Regel so viel Herzblut und Arbeit in unsere Websites wie in unsere Dienstleistungen. Und da bietet es sich einfach an, entsprechend sensibel und kreativ auf unsere Texte, die Bilder und die Haltung dahinter zu schauen.
(Antwort von Annika, Expertin im Workshop für gendersensibles Schreiben auf Websites)
2. Um präzise zu schreiben.
„In der deutschen Sprache schaffen wir immer und immer wieder die Unterschiede zwischen Frau und Mann neu, mit jedem Satz, mit jedem sie, mit jedem er. Du denkst jetzt bestimmt, ja, aber wir beschreiben doch nur die Person. Aber jede Person kann man doch auf hunderttausend Arten beschreiben, warum muss es immer nur darum gehen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt! Warum geht es nicht anders? Hast du dich das schon mal gefragt?“ – Perihan in Dschinns von Fatma Aydemir
Die Sprache prägt das Denken. Es bedarf für die meisten von uns schon einiger Gehirnakrobatik, eine Person wahrzunehmen, ohne dabei an „sie“ oder „er“ zu denken. Wir sehen meist nicht einen Menschen, wir sehen eine Frau oder einen Mann. (Genauso sehen wir meist nicht ein Kind, wir sehen einen Jungen oder ein Mädchen.)
Doch es ist möglich, diese vermeintliche Kausalität zu entknüpfen. Es ist auch im Deutschen möglich, unsere Sprache, und damit das Denken, zu entgendern. Das ist allerdings aufgrund der Omnipräsenz des generischen Maskulinums, also der ausschließlichen Verwendung der männlichen Form, und dessen angeblicher „Selbstverständlichkeit“ und „Allgemeinmenschlichkeit“ etwas, das wir aktiv tun und trainieren, also entlernen, müssen.
Es ist eine Einladung zur Reflexion: Was wollen wir sagen, wenn wir sprechen? Wen meinen wir und wen nicht? Welche Merkmale einer Person sind relevant, wenn wir über sie sprechen und welche nicht? Wir haben die Möglichkeit unsere Sprache als Werkstoff zu verstehen, mit dem wir kreativ umgehen können.
Im Hinblick auf unser Business bedeutet das auch, zu überlegen: Wen möchten wir ansprechen und erreichen? Wie könnte es uns gelingen? Die gendersensible Kommunikation ist dabei ein Werkzeug der Präzision. Sie erlaubt es uns, das zu sagen, was wir meinen und die zu adressieren, die wir erreichen möchten. Es liegt in unserer Freiheit als Selbständige, eine Entscheidung zu treffen, welche Sprache wir nutzen möchten.
(Antwort von Ulla, Expertin im Workshop für gendersensibles Schreiben auf Websites)
3. Um flexibel und kreativ zu bleiben.
Der Versuch, gendersensibel zu schreiben, macht natürlich etwas mit unserer Sprache – und dadurch auch etwas mit dem, was für uns vertraut ist und sich „normal“ anfühlt. Damit fordert dieser Versuch von uns, dass wir erlauben, dass sich Dinge ändern, die wir von Kindheit an auf eine bestimmte Art kennengelernt haben. Er verlangt unsere intellektuelle Lebendigkeit und unsere Bereitschaft zur Veränderung.
Was in Zeiten, in denen sich eh schon gefühlt alles verändert und verschiebt, ohne dass wir es kontrollieren können, manchmal eine ganz schöne Herausforderung ist.
Da hilft die Erinnerung daran, dass Sprache schon immer lebendig war, sich sowieso laufend verändert und dass sie genau das so schön und stark und lebendig macht. Und die Erinnerung daran, dass wir auf manche Sachen Einfluss haben – nämlich zum Beispiel darauf, wie wir uns ausdrücken und welche Begriffe wir wählen.
Der Versuch, gendersensibel zu schreiben, kann also eine Chance sein, die Welt neu und bewusster zu benennen und sie durch diese Benennung und Ergänzungen in Vokabular und Grammatik mitgestalten zu können. Ganz lebendig.
(Antwort von Kathrin und Ricarda von die gute Website)
4. Um Empathie zu üben.
Uns geht es beim gendersensiblen Schreiben nicht darum, Fronten zu verhärten oder Menschen aufzuteilen in diejenigen, die etwas „richtig“ machen und diejenigen, die etwas „falsch“ machen, es geht uns nicht darum, Sprach-Polizei zu spielen.
Es geht uns dabei um alle Menschen – nur eben wirklich um alle, und nicht nur um den Teil, der als Standard definiert wird. Denn eine Sprache, die den männlichen Menschen als Norm behandelt und so tut, als wäre das neutral, reicht uns nicht aus.
Wir wissen, dass es nicht nur gendersensible Formulierungen, sondern auch gendersensible Intentionen, Haltungen und Handlungen braucht (es gibt zum Beispiel auch Menschen, die gendersensibel schreiben und trotzdem diskriminieren). Gleichzeitig ist uns sehr bewusst, dass Sprache immer auch Sprachhandlung ist und somit sowohl verletzen und ausschließen als auch einschließen, heilen lassen und willkommen heißen kann.
Und gerade deshalb bedeutet gendersensibel zu schreiben für uns, Empathie zu üben, uns hinein zu versetzen in die vielen verschiedenen Menschen, die wir mit unseren Texten erreichen wollen. Das ist kein neues To-Do zum Abhaken, kein Trend, den wir mitmachen müssen, um modern zu wirken – sondern ein vom Herzen kommender Impuls, mit Sprache die Welt abzubilden, in der wir wirklich leben wollen.
(Antwort von Kathrin und Ricarda von die gute Website)
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit von Ricarda Kiel, Kathrin Bach, Ulla Scharfenberg und Annika Salingré entstanden und wurde erstmalig unter dem Titel "Warum überhaupt gendersensibel schreiben?" auf dem Blog von die gute Website veröffentlicht. Gemeinsam organisieren wir für den 14. April einen Workshoptag für gendersensible Websites.
„Die gendersensible gute Website“ ist ein partizipativer Workshoptag für diejenigen, die sich fragen (möchten), wie sie mit ihrer Website möglichst alle ansprechen. Für alle, die weg wollen vom generischen Maskulinum, sich aber nicht zwischen Sternchen, Doppelpunkten und Unterstrichen entscheiden können. Für alle, die sich sicherer fühlen wollen in möglichst geschlechtergerechter Kommunikation.
Der Workshoptag findet am 14. April online statt. Wir werden mit einer sehr kleinen Gruppe arbeiten, um wirklich individuell begleiten und beraten zu können. Die Plätze sind also begrenzt. Zur Vor- und Nachbereitung des Workshoptages gibt es ein Workbook. Im Anschluss an den Workshop-Tag startet eine individuelle Phase zur „Verdauung und Nacharbeit“ und für alle, die Textentwurf einreichen, gibt es noch mal ein individuelles Feedback.
Weitere Infos zu Inhalten und Ablauf sowie den Anmelde-Button gibt es hier. Für den Workshop gilt ein soziales Preismodell.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Zusatzzeichen_1012-32#/media/File:Radfahrer-innen_absteigen.JPG